Parodontitis, Zahnfleischbehandlung und ganzheitliche Zahnmedizin
Die Parodontitis (im Volksmund Parodontose) wurde früher für eine schicksalhafte Erkrankung gehalten. Diese Annahme hat sich glücklicherweise für viele Patienten als Irrtum erwiesen. Ursache der Parodontitis ist eine Schwäche der Immunabwehr, die von Bakterien ausgenutzt wird. Die Parodontitis entsteht also grundsätzlich als Zusammenspiel von Bakterien und Immunabwehr, wobei die Immunabwehr überschwellig werden kann und so eine Entzündung ausgelöst wird. Der Zahnhalteapparat wird geschädigt, sodass es schließlich zum Zahnverlust kommen kann.
Etwa die Hälfte der Europäer und Nordamerikaner leidet unter Parodontitis- 90% davon unter der chronischen Form, und 10% unter der aggressiven Form. Die Patienten mit chronischer Parodontitis können durch perfekte und regelmäßige Prophylaxe ihre Erkrankung meist vollständig stoppen. Sie sollten die professionelle Zahnreinigung mehr nutzen als der Durchschnitt, etwa alle 4 Monate. Die Patienten mit aggressiver Parodontitis sind die eigentliche Problemgruppe und haben häufig schon im Alter von 16 bis 30 Jahren einen Zahnverlust erlitten. Die Prognose ist hier weniger günstig.
Da Parodontitis-Bakterien praktisch überall vorkommen, ist die Ursache im Immunsystem zu suchen. Die Immundefekte können festgestellt werden, können jedoch nur zum Teil behandelt werden. Diese Patienten müssen noch öfter zur professionellen Zahnreinigung und viel besser überwacht werden. Rauchen sollte unbedingt vermieden werden. Stress führt in dieser Gruppe zu Schüben der Erkrankung, die die Patienten zuerst nicht bemerken. Stress führt in der Gesamtgruppe auch zum Übergang von chronischer in aggressive Parodontitis.
Das Leitsymptom der Parodontitis ist die Zahnfleischtasche. Zahnfleisch und Kieferknochen sind normalerweise 1 - 3 mm voneinander entfernt. Werden im Krankheitsprozess Kieferknochen und Fasern zerstört, bleibt nur das Zahnfleisch zurück. Oft täuscht das Zahnfleisch viel mehr an Zahnhalteapparat vor, als wirklich vorhanden ist. Die Tasche wird tiefer als 3mm und die Patienten können den unteren Anteil der Tasche nicht mehr reinigen. Die Tasche blutet, wenn der Zahnarzt sie testet und zeigt eine Entzündung an. Die Entzündung entwickelt sich ungestört weiter und es entwickelt sich ein sich selbst verstärkender Regelkreis.
Der Regelkreis kann nur gebrochen werden, wenn wir als Zahnärzte eingreifen und die Tasche säubern, sodass sie sich im Anschluß wieder schließt. Eine inaktive Tasche gilt als gesund und sie blutet nicht mehr, wenn der Zahnarzt sie testet. Eine solche Zahnfleischbehandlung ist heute so wenig belastend, dass die Patienten am nächsten Tag wieder ihren gewohnten Tätigkeiten nachgehen können. Sie kann unterstützt werden durch Antibiotika, die speziell gegen die Parodontitis-Keime wirken. Eine perfekte Parodontitis-Behandlung würde als Ergebnis ein Verschwinden aller Taschen bewirken. Diese perfekte Behandlung gibt es leider nicht, der Zahnhalteapparat regeneriert nur zum Teil. Wir verfolgen dazu die modernsten Forschungsansätze. So kann die Gabe von Parathormon das Ergebnis der Behandlung verbessern. Wir führen dies in Kooperation mit einem Endokrinologen durch.
Neben der Unterteilung in aggressive und chronische Parodontitis unterscheiden wir auch zwischen schwerer und leichter Parodontitis. Eine schwere aktive Parodontitis muss zuerst durch die oben besprochene Säuberung der Taschen in eine inaktive Form überführt werden. Dann können wir den verloren gegangenen Knochen wiederherstellen, um die Zähne zu stabilisieren. Dies geschieht, indem wir die Knochendefekte mit Eigenknochen, Knochenersatzmaterial, Wachstumsfaktoren oder anderen Hilfsmitteln beheben. Wir setzen vorzugsweise Eigenknochen ein, weil hier die Entstehung von Knochen maximiert und Infektionen minimiert werden. Wir verzichten auch am liebsten auf körperfremde Materialien.
Eine aktive Parodontitis sollte vor allem auch deswegen behandelt werden, weil sie mit einem erhöhten Risiko für Diabetes mellitus, rheumatoider Arthritis, Herzinfarkt und einer Reihe anderer Erkrankungen einhergeht. Im Fall des Diabetes mellitus ist die gegenseitige Verstärkung dieser beider Volkskrankheiten gesichert.
Ganzheitliche Zahnmedizin
Unbehandelte zahnmedizinische Erkrankungen fördern Krankheiten an anderen Stellen des Körpers. Weitaus am wichtigsten ist hier die nicht ausgeheilte (‚aktive‘) Parodontitis. Sie ist sicher ein Risikofaktor für arterielle Verschluß- Krankheit, rheumatoide Arthritis und Diabetes mellitus. Herzinfarkt, Frühgeburt, Alzheimer und andere Erkrankungen werden diskutiert. Risiko und Verstärkung verschieden hoch. Der sicherste Zusammenhang betrifft die gegenseitige Verstärkung von Parodontitis und Diabetes mellitus als Volkskrankheiten. Die Fernwirkung der Parodontitis verursachenden Bakterien funktioniert scheinbar hauptsächlich über Entzündungsmediatoren.
Das allgemeinmedizinische Risiko der Karies ist sicher viel kleiner. Karieskeime finden sich bei Entzündungen in Lunge, Nebenhöhle, Hirnhaut und Herz. Dies sind seltene, aber schwerwiegende Ereignisse. Zudem ist eine mit Bakterien aus dem Mund besiedelte Herzklappe für den Patient*innen leicht vermeidbar.
Eine unbehandelte Entzündung des Wurzelkanals birgt wieder ein höheres allgemeinmedizinisches Risiko. Grundsätzlich ist die Entzündungsfläche kleiner als bei der Parodontitis. Die Keime sind jedoch zum Teil die gleichen. Eine schlecht vertragene Wurzelbehandlung kann also im schlechtesten Fall die oben beschriebenen Krankheiten fördern, letztendliche Klärung steht aus.
Findet man im Röntgen eine Entzündung an der Wurzelspitze, die der Patient nicht bemerkt und die nicht schmerzt, sollte man sie trotzdem beseitigen. Im Gegenteil, wenn der ganzheitliche Allgemeinmediziner oder der Physiotherapeut fragt, ob man eine versteckte Entzündung im Zahnbereich hat, dann ist genau das gemeint.